Das Grubenunglück am 10. Mai 1941 in Kohlendorf

 

Zum schwärzesten Tag der Gemeinden um die Stadt Neurode wurde der 10. Mai 1941. Beim Schichtwechsel gegen 22 Uhr kam es zu der größten Katastrophe im Kohlendorfer Steinkohlebergbau, bei dem auf einmal 187 Bergleute grausam ihr Leben verloren. Was war passiert? Eine ungeheure Kohlensäureexplosion hatte Unmengen an Gestein und Gas freigesetzt, Bergleute wurden erschlagen oder erstickten qualvoll. Es war die größte Kohlensäure-Katastrophe, die sich bis zu dieser Zeit in Europa ereignet hatte. Von den Nachrichtenagenturen verschwiegen, selbst die Traueranzeigen über die verunfallten Bergmänner durften das Unglück nicht erwähnen. Aus Buchau kamen Bergleute ums Leben, fünf konnten von Rettungskräften geborgen werden. Einem Buchauer gelang es, sich selbst zu retten. Der Fahrhauer Max Schwanse erreichte über den Fluchtweg der 3. Sohle  den Anna-Schacht. Er blieb am Leben, hatte aber großen gesundheitlichen Schaden genommen. Sechs Tage nach dem Unglück am 16. Mai 1941 schrieben die Neuroder Nachrichten „Am 10. Mai starben in treuer Pflichterfüllung 186 Bergleute in der Rubengrube den Bergmannstod“. Der 187ste war ein englischer Kriegsgefangener.

Zu den toten Bergleuten aus Buchau gehörten:

August Buhl, Heinrich Dinter, Paul Herden, Franz Herzig, Fritz Herzig (mit 18 Jahren der jüngste Tote), Erich Kristen, Franz Plaschke, Josef Siegel, August Stiller.

Erich Kristen z.B. hinterließ eine Frau im Alter von 32 Jahren sowie einen 8-jährigen Sohn und eine 6-jährige Tochter. In den anderen Familien war das Verhältnis ähnlich, nur das oft noch mehr Kinder vorhanden waren.

In den Jahren zwischen 1930 und 1941 kamen weit über 300 Bergmänner in unseren Gruben ums Leben. Zu den Bergleuten, die nach dem Unglück von anderen Gruben zur Unglücksgrube versetzt wurden, gehörte auch mein Vater. Die Kohlensäureausbrüche forderten bis zur endgültigen Schließung der Gruben in den 90er Jahren noch weitere Menschenleben.

Massengrab für die verunglückten Bergleute (links vorn der Buchauer P. Herden)

 

                        Elfriede Kristen am Sarg ihres Mannes                                     Todesanzeige

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4.2    Rudolf Dinter, erinnert sich an die verunglückten Bergleute

 

Meine Mutter ist 1939 im Alter von 41 Jahren verstorben. Ich habe die Staatliche Handelsschule in Glatz besucht, hatte diese gerade erst abgeschlossen und arbeitete als kaufmännischer Angestellter bei der Elektrizitätswerk Schlesien AG in Mölke. Wir jungen. Burschen spielten abends gern etwas Fußball auf dem Sportplatz in Buchau, so auch am Abend des 10. Mai 1941. Mein Vater ging zur Nachtschicht und ich mit ihm bis zum Sportplatz. Dort verabschiedete ich mich wie üblich mit „Glück auf!“ und ahnte nicht, dass es der letzte Gruß sein sollte. Am darauf folgenden Sonntagmorgen wurde ich durch lautes Weinen und Schreien geweckt. An meinem Bett standen meine Stiefmutter und ein Kumpel meines Vaters, der noch mit einem der beiden Förderkörbe aus der Grube herausgekommen war, bevor das Unglück geschah. Aus all dem durcheinander Gesprochenen konnte ich nur verstehen, dass ein furchtbares Unglück geschehen war und sich auch mein Vater unter den Verunglückten befand. Ich begriff, dass ich so schnell wie möglich zum Schacht in Kohlendorf musste. Mit dem Rad fuhr ich so schnell ich konnte dorthin. Was sich dort am Grubentor abspielte, ist mir nur noch dunkel in Erinnerung: Eine Menge teils schreiender, teils wie in Erstarrung harrender Frauen und Männer, in Abständen aus der Schachtanlage kommende Rettungstrupps mit zugedeckten Bahren. Wie lange ich auf eine Nachricht über meinen Vater gewartet habe, weiß ich nicht mehr, auch nicht wie und wann ich daheim angekommen bin. Es war jedenfalls kaum eine Familie in Buchau, in der nicht Frauen und Kinder um ihren Mann und Vater trauerten. Dauernd brachten Vertreter der Grubenverwaltung die traurigen Nachrichten zu den Hinterbliebenen, läuteten die Sterbeglocken der Neuroder Kirchen.

 

Aufbahrung in der Kunzendorfer Sandgrube

 

Über das Schicksal meines Vaters erfuhren wir den ganzen Sonntag über nichts. Es hieß, dass noch einige Bergleute gesucht würden. Erst am Montagvormittag erhielten wir Nachricht, dass man ihn mit noch anderen Kumpeln im Lüftungsschacht in Buchau, nur etwa 200 Meter von unserer Wohnung entfernt, gefunden hatte. Der zweite Ausbruch war so stark gewesen dass auch hier keine Rettung mehr war.

Die Toten wurden in verschiedenen Sälen der umliegenden Dörfer in offenen Särgen aufgebahrt. Ein furchtbar erschütternder Anblick! Der dunkle nur von Grubenlampen spärlich beleuchtete Saal, Sarg an Sarg, dazwischen nur ein Abstand von etwa 50 cm. Weinende und klagende Ehefrauen, Mütter, Kinder und Geschwister der Opfer, die zum Teil mit noch offenen Augen und mit Verletzungen im Gesicht und an den Händen im Sarg lagen. Frauen wurden ohnmächtig, fielen auf die Toten, Kinder riefen den Namen ihres Vaters. Es lässt sich nur schwer in Worten ausdrücken, welch erschütternde Szenen sich da abspielten.

Die Beisetzung im Massengrab auf dem Neuroder Friedhof fand nach dem Trauerakt statt. Dazu hatte man alle Särge auf einem großen Platz in Kunzendorf oder Kohlendorf - genau weiß ich das nicht mehr - aufgestellt. Die Trauerrede hielt ein gewisser Dr. Ley. Verstanden habe ich davon kein Wort. Die Särge wurden anschließend zum. Massengrab mit LKW’s der Wehrmacht gefahren. Dort konnten die Angehörigen Abschied nehmen.

 

4.3    Bericht eines Bergmanns über das Grubenunglück

aufgezeichnet von Paul Wache:

Die Förderung und die Personeneinfahrt in die bis 600 Meter tiefen Stollen erfolgte in den zwei neuen Schächten in Kohlendorf (der dritte Schacht, der Annaschacht, war nur noch gelegentlich in Betrieb). Weit ab davon bestanden die so genannten Wetterschächte (Lüftungsschächte), einer davon in Buchau, wenige Meter von der Ortsmitte entfernt neben bewohnten Häusern. Über dem Lüftungsschacht stand ein Gebäude mit zwei großen Ventilatoren, von denen immer einer lief. Dieser saugte die verbrauchte Luft aus dem Stollen. Dadurch wurde frische Luft in die Hauptschächte in Kohlendorf angesogen. Als der Zechenleitung der Kohlensäure-Ausbruch gemeldet wurde, kam die Anordnung, die Ersatz-Ventilatoren dazu zu schalten, damit möglichst schnell wieder frische Luft in den Stollen fließen konnte. Doch gerade dies wurde fünf Bergleuten zum Verhängnis. Diese hatten ganz in der Nähe des Lüftungsschachtes gearbeitet, als sie den Ausbruch, der alle Sicherheitsvorkehrungen zu Nichte machte, bemerkten. Die Kohlensäure war ja schwerer als Luft, fließt wie Wasser auf dem Boden entlang und kann wie Wasser steigen. Die Flammen der Sicherheitsleuchten verlöschen, man watet wie im Wasser. Das Gas ist zwar nicht giftig im Sinne des Wortes Gift, aber es verdrängt den Sauerstoff, man erstickt. Die fünf Männer stiegen also in Eile die eisernen Leitern innerhalb des Lüftungsschachtes von Podest zu Podest nach oben. Der Stollen ist in Buchau ca. 400 Meter tief. Das Gas war schneller. Der Letzte (das war Heinrich Dinter) wurde wenige Meter unterhalb des Ausstiegs auf einem Podest leblos von der Rettungsmannschaft gefunden. Er wohnte nur eine Minute Wegstrecke neben dem Ventilatorhäuschen.

 

Buchau mit dem Wetterschacht (rechts im Bild), links oben die „Meierdrehe“